Kurz vor den Sondierungsgesprächen der Parteien zur Ergründung einer neuen Bundesregierung nach der Wahl am 24. September schaffen es die Parteien und besonders die Medien, die Verdrossenheit der Wählerinnen weiter zu erhöhen. Deutlich etwa daran, dass den Bürgerinnen an allen Ecken und Enden der Schuh drückt (Digitalisierung, Bildung, Arbeit, Gesundheit, Rente, um nur einige zu nennen), einigen sich zunächst mal die CDU und die CSU auf die nach meiner Meinung nach irrsinnige und irrelevante „Obergrenze“. Zitat auf der Seite der CDU: „Dabei werden nach den Worten Merkels viele weitere Themen im Mittelpunkt stehen, die für die Zukunft unseres Landes von großer Bedeutung seien“. Super! Und: Noch immer gehen die Medien den Parteien und der Politik auf den Leim. Was weiterhin fehlt, um wirklich Verantwortung zu übernehmen: Eine klare Sprache, sowohl bei den Politikerinnen, als auch bei den Medien.
Svenja Teichmann hat in diesem Beitrag nach den „Hausaufgaben“ gefragt, ihn quasi als Anstoß verstanden. Anzeichen für eine Verbesserung einer politischen Kommunikation habe ich bisher selten gefunden. Neben den Print-Medien hat auch das Fernsehen, dass ich seit Jahren weitgehend vermeide, wenig zur Verbesserung beigetragen. Zu sehr sind beide viel zu häufig in ihren Formaten gefangen, die nicht mehr zeitgemäß sind.
Die zentrale Frage für jeden Beitrag, ob Print, Digital oder TV, muss sein: Was ist der Nutzen für den Leser oder Seher? Mit Qualität können Politik und Medien wieder Vertrauen erreichen. Genau das Vertrauen, dass sie in den letzten Jahren massiv verloren haben. Und es geht darum, die Verantwortung für die Qualität, in Politik und Medien gleichermaßen, wieder zu übernehmen.
Die meisten Print-Medien, gleichgültig, ob überregional oder nur regional, haben sich mit ihrer Präsentation im Netz in einem kaputten Markt für die Reichweite entschieden. Das Ergebnis: Überbordende Werbung, aufploppende Anzeigen, überladene und kaum ladende Seiten; zudem: Steile und wirre Überschriften für flache Beiträge. Hauptsache: Masse! Inhaltlich arbeiten sie weiterhin wie vor 20 Jahren. Meldung, 40-Zeiler, 60-Zeiler, 120-Zeiler mit mal mehr oder wenigen Fotos; wichtig ist Print, Online muss mit den Abfällen leben. Ach, so, inhaltlich: Den Leserinnen die komplexen Vorgänge und Positionen der Politik im Bund, im Land, oder auch im Kreis oder der Kommune in sachlichen Worten zu erklären findet kaum statt. Hauptsache: Krawall.
Ebenso das Fernsehen. Die noch immer gleichen Talk-Formate sind nicht mehr geeignet, für die Nutzerinnen einen wesentlichen Sinn zu ergeben: Erklärung und Meinungsbildung. Zu häufig lassen sich die Moderatorinnen auf die Floskeln ein, hinterfragen sie kaum. „Erklärende“ Einspielfilme sind lediglich Häppchen, kurz und knackig geschnitten, immer mit dynamischen Bildern; sie erklären wenig, eigentlich mehr ein Bestandteil der Unterhaltung. Die Erklärung dafür liegt wiederum in der Reichweite: Alles etwas leichter, verdaulicher, mehr ist besser. Änderungen und Verbesserungen sind unangenehm, „verängstigen“ die Zuschauerinnen, daher: besser nicht. Die immer wieder gleichen Protagonistinnen der Talks werden von den Redaktionen nur ausgewählt, wenn sie polarisieren. Hauptsache: Krawall. Der Nutzen: Nebensächlich.
Für mich war heute+ (Sendezeit mittlerweile 24 Uhr) zu Beginn ein hoffnungsvolles Beispiel; mittlerweile nicht mehr. Anders erklärt, besser thematisiert, nicht so gezwungen, authentischer und offener, das Einbeziehen von Dialog-Plattformen wie Twitter und Facebook. Allein der Sendeplatz zeigt deutlich, das eine Veränderung nicht gewünscht ist. Wäre das ZDF wirklich mutig, würden sie das Format auf die 20-Uhr-Schiene setzen.
Hoffnungsvoller sind im Digital-Journalismus als Beispiel etwa Perspective Daily und die Krautreporter (Anmerkung: Ich bin Mitglied der Krautreporter-Genossenschaft), weil sie sich Zeit nehmen, Zusammenhänge in einer guten Sprache zu erklären. Und auch hier ist noch ein großes Verbesserungspotenzial. Auch andere Medien, wie etwa Zeit-Online, wagen gute Versuche, die Verbesserungen für die Nutzer versprechen.
Das Erklären und Beschreiben der mittlerweile sehr komplexen Strukturen sind gleichermaßen Aufgaben der Politik und der Medien, gleichwohl welchen Formates. Dabei werden die einfachsten Mittel nicht verwendet. Wie etwa ein einfaches Pro und Contra, ein Gegenüberstellen von unterschiedlichen Positionen. Gute erklärende Grafiken, am besten digital aufbereitet, finden sich in den wenigsten Medien. Kaum ein Print-Medium hat den Mut, das Format für ein wichtiges Thema komplett über den Haufen zu werfen. Da wird so lange an der Optik gefrickelt, bis es vermeintlich hübsch ist. Der Nutzen für die Leserinnen: Nebensächlich.
Was not tut, auf allen Seiten: Mehr Transparenz und Offenheit, mehr Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, eine klare und verständliche Sprache, ein nachvollziehbares Ziel, etwa das der Verantwortung für Qualität.
Sehr häufig dagegen immer noch und überall: Worthülsen, die nur dafür gedacht sind, eine Beruhigungswolke zu schaffen. Und erreichen nur das Gegenteil. Politik und TV sind für mich mittlerweile zu sehr ineinander verwoben, sie sind eine eigene Filterblase geworden. Das Ergebnis: Weichgespülte Politikerinnen, die immer wieder nur versuchen, sich telegen zu verhalten. Das Ergebnis: Ein wahlmüdes Volk. Und ein Wahlvolk, das sich zunehmend der „Modernisierungs-Skepsis“ annähert; bloß keine weitere Veränderungen mehr. Besonders lesenswert dazu: Dieser Beitrag auf Zeit-Online zur Sprache in der Politik.
Um der Verantwortung gerecht werden zu können, braucht es in der Politik und in den Medien eine wesentlich klarere Zuwendung an die Qualität. Besser werden. Klarer werden. Den Nutzen jedes Mal wieder hinterfragen, im direkten Dialog überprüfen lassen, erneut verbessern. Das setzt Ehrlichkeit und Authentizität bei der Politik voraus, gleichwohl bei den Medien. Noch ein großes Verbesserungspotenzial. Und es erfordert einen kritischen Dialog der Nutzerinnen: Nachhaken, Verbesserung anfordern, konstruktive Kritik, die immer wieder die Verbesserung als Ziel haben soll. Fazit: Gefordert sind alle!
cdv!