Das gibt es nicht oft in Deutschland: Der Vorhang einer Bühne hebt sich zur Probe einer Oper, die erst in zwei Wochen Premiere und damit sogar die Uraufführung erleben wird. Im Zuschauerraum Menschen, die neben dem Beobachten des Geschehen auch ständig auf ihre Smartphones und Tablets schauen, zuweilen darauf kurze Texte tippen. Es nennt sich #kultup. Etwa 25 Twitterer beobachten, und beschreiben in ihren Tweets an ihre Follower die Eindrücke, die sie erleben. Regisseur Christian Marten-Molnár bleibt gelassen, erklärt, beschreibt, lädt später sogar die Gäste als Statisten auf die Bühne. Fast schon niedlich nebenbei: Die ebenfalls eingeladenen TV-Journalisten filmen nicht die Probenszenen, sondern die Twitterer.
Ort des Geschehens: Das Heilbronner Stadttheater. Kein großes Haus, wie auch, in einer Stadt mit etwa 120.000 Einwohnern in Baden-Württemberg. Die immerhin eins ist, selten genug: vermögend. Das Haus selbst erlebt derzeit eine wahrliche Blüte, kann eine Auslastung von mehr als 80 Prozent verzeichnen, will mit dem Besuch von mehr als 170.000 Gästen im letzten Jahr keinen (weiteren, siehe Kommentar) Zuschuss vom Stadtrat. Ungewöhnlich auch: Mit Katrin Schröder hat das Theater Heilbronn eine sehr engagierte Marketing-Frau, die seit einigen Jahren nicht nur auf das klassische Marketing setzt, sondern auch die digitalen Kanäle ordentlich bespielt. Die können sich wahrlich sehen lassen.
Die Oper: „Minsk“. Komponiert von Ian Wilson nach dem Libretto der in London lebenden Lyrikerin Lavinia Greenlaw, inszeniert von Christian Marten-Molnár. Ein mutiges Stück, keine Gefälligkeit an das sonst gern gestreichelte Heimat-Publikum aus der Stadt und dem Umland. Eine Geschichte der Anna, die von Minsk nach London kommt, eine Geschichte von Migration und Integration, von Träumen, Wünschen und Erwartungen, vom Wunsch der Rückkehr zur Jugendliebe, von Anpassung, von Zweifeln nach 20 Jahren ob der richtigen Entscheidung.
Das #Kultup: Ein Format, das Ulrike Schmid und Birgit Schmidt-Hurtienne organisieren. Die beiden Kultur-Expertinnen öffnen Kultureinrichtungen für Twitterer, um Aufmerksamkeit für die Kultur unter jenen zu schaffen, die sich täglich mit 140 Zeichen pro Tweet auseinandersetzen. Museen und andere Einrichtungen haben sich so schon in die Karten gucken lassen. Das erste Theater ist das Stadttheater Heilbronn.
Was bringt das? Es öffnet Türen. Nicht nur den Theater- oder Kultur-Profis, die an diesem Samstag nach Heilbronn gefahren sind, um ein #Kultup zu erleben. Sondern auch den Heilbronner Twitterern, die sich im Verlauf der in der Kantine stattfindenden Diskussion nicht nur weitere Proben vorstellen können, sondern auch aus Aufführungen berichten möchten. Geht das? Vielleicht irgendwann.
Theater- und Opernkunst bewegen sich in der digitalen Kommunikation auf Menschen zu. Auf Menschen, die vorher vielleicht nicht oder nie im Theater oder in der Oper waren. Die aber nun eingebunden werden, die sehen und berichten dürfen. Sie teilen es anderen mit, laden damit zur Diskussion ein. Und natürlich zum Besuch der Aufführung. Es ist dabei noch nicht alles perfekt, und man wird an der ein oder anderen Stelle durchaus noch verbessern müssen. Und dennoch ist es ein guter Weg, die Theaterkunst transparenter und damit begreifbarer zu machen.
Die Zahl der Kultureinrichtungen, die diesen Weg beschreiten, sind derzeit noch sehr überschaubar. Während die großen Häuser ihre Fans und Follower ohnehin finden, suchen gerade viele kleine Einrichtungen noch nach den Möglichkeiten, setzen aber dabei sehr häufig noch auf die klassischen Formate wie Plakat und Anzeige. Was dabei nicht berücksichtigt wird, ist das Gespräch nach den Vorstellungen. Das auf jeden Fall stattfinden wird, ob im Freundeskreis, oder eben auf den digitalen Kanälen. „Warst du schon in der Vorstellung von….“ ist beredt. Aber noch lange nicht digital.
Das Stadttheater Heilbronn ist den mutigen Weg der Öffnung gegangen. Und hofft gern auf die Unterstützung bei weiteren Aktionen, die mit Sicherheit folgen werden. Schon jetzt gibt das Feedback, das Katrin Schröder auf den digitalen Kanälen (facebook, Twitter) erfährt, viel Zuspruch. Der Blick in die Probe von „Minsk“ hat zudem gezeigt, dass es eine sehr interessante Aufführung werden wird. Ein beeindruckendes Bühnenbild, eine interessante Komposition, und eine spannende Inszenierung sind hiermit versprochen. Premiere ist am 3. März 2013.
Dass es den klassischen Medien ein Thema war, freut insbesondere für das Heilbronner Theater. Ungewohnt war es für die Twitterer allemal, sich bei ihrer schwierigen Arbeit beobachten zu lassen.
cdv!
Kommentar Sehr geehrter Herr de Vries, nur um eines klarzustellen. Von wegen, das Theater will keine Unterstützung vom Stadtrat.. natürlich ist auch das Stadtheater Heilbronn hoch subventioniert. Mit freundlichen Grüßen, Michaela Adick
„Die Zahl der Kultureinrichtungen, die diesen Weg beschreiten, sind derzeit noch sehr überschaubar.“
Das ist ja der große Vorteil! Wenige „Marktschreier“ beleben einen Markt. Ist jeder Marktschreier, ist es letztendlich nur noch laut. ;)
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