Im Lichtkegel schreitet sie langsam die Publikums-Tribüne hinunter. Viele springen auf, fotografieren oder filmen das mit ihrem Smartphone. Die Stimme schon jetzt: durchdringend. Mit kurzem Minirock, einem Shirt und in High-Heels schwingt sie sich auf die Bühne im RuhrCongress in Bochum. Da ist sie endlich: Beth Hart. Seit einigen Jahren meine Nummer 1. Es gibt für mich kaum eine andere Frau, die einen solchen Ausdruck in ihrer Stimme hat. Kraftvoll, lebendig, mit einem unglaublichen Gefühl, viel gelebtes Leben. Das Konzert in Bochum, also in unmittelbarer Nähe, ist wie ein Geschenk.
Und sie steigt sofort ein. Songs aus den letzten beiden Alben gleich zu Beginn. Gespielt mit ihren drei Tour-Musikern (Gitarre, Bass, Schlagzeug), sie selbst zuweilen am E-Piano. Mehr braucht Beth Hart nicht. Rock und Soul sind ihre Musik. Ihre Songs schreibt sie selbst. Für ihre Schwester, für ihren Mann, mit dem sie seit vielen Jahren verheiratet ist. „Wash your feet, motherfucker“, sagt sie, lacht dabei. Was sie großartig kann: Laut und leise. Kraftvoll, dann auch wieder zart und gehaucht, sie beherrscht auch alle Zwischentöne.
Später dann die älteren Songs; etwa die, die sie in den letzten Jahren sehr häufig auch mit Joe Bonamassa gespielt hat. Mit etwas mehr Wumms, mit Blechbläsern und mehr Vocals im Hintergrund. Das alles braucht sie in Bochum nicht. „Tell Her You Belong To Me“ oder „Close To My Fire“ sind etwa Songs, die man durchaus schon als Klassiker betrachten kann. Sie kniet auf der Bühne, sitzt auf dem Schemel, sitzt am Klavier, nimmt für zwei Songs die Gitarre in ihre Hände, schreitet selbstbewusst; der ganze Körper arbeitet bei jedem Song mit.
Im Publikum, nahezu die meisten davon haben die 50-Jahr-Marke schon überschritten, werden unzählige Videos und Fotos mit den Smartphones gemacht. Fast alle kennen die Songs, gelegentlich ein „Yeah“ oder eine Zwischenruf. Alle sind dabei.
Und so sehr mich diese Frau mit ihrer Stimme begeistert; irgendetwas stimmt nicht. Es lässt mich grübeln. Lässt mich die Bühne betrachten, die mit drei Säulen und einer durchaus exquisiten Beleuchtung viel Tiefe suggeriert. Plötzlich weiß ich es: Es ist zu kalt, und es liegt nicht an der Temperatur. Vielleicht 1800 Besucher in der technisch nahezu perfekten RuhrCongess-Halle auf Stühlen. Die Abschmischung ließ mich stutzen und hadern; am Ende ist es der Gesamteindruck. Diese Frau mit dieser Stimme und diesen Songs gehört nicht hierher. Es ist zu gut, eigentlich zu perfekt.
Was ich mir gewünscht hätte: Alles kleiner, ohne Stühle, näher dran, kuscheliger und intimer. Die Musik nicht so kalt abgemischt, verwinkelter, gern in der Zeche, oder auch in einem anderen kleinen Club. Ok, vielleicht wäre ich dann noch mehr Gänsehaut-Tode gestorben, als nun schon. Sei’s drum. Die Musik live zu erleben ist grandios. Sie bleibt auch weiterhin meine Nummer 1.
cdv!