Allgemein

Kaputtes Internet: Wider die Gleichgültigkeit

15. Januar 2014

Marcus Schwarze, Digitalchef der Rhein-Zeitung, hat den mit Abstand besten Vergleich gut beschrieben: Den Generalschlüssel der amerikanischen Zollbehörden für jedweden Koffer, der in den USA verkauft wird. Die Zollbehörden haben ihn und nutzen ihn, wenn sie es angebracht finden. Den „Kofferschlüssel“ für das Internet hat folgerichtig die NSA. Und sie nutzen ihn, wenn sie es angebracht finden. Also immer.

Dass nun der Interneterklärer Sascha Lobo ausgerechnet in der FAZ darin eine Kränkung sieht, ist auf der einen Seite sehr nachvollziehbar; warum in der FAZ, eher nicht. Ohnehin, so erkennt es Wolfgang Michal bei CARTA, arbeitet sich Lobo zunehmend und mit zunehmendem Nichterfolg an diesem Thema der ständigen Überwachung ab. Immerhin stößt er eine Debatte an, wenn auch wiederum meistweilig in den ersten Tagen nur im Netz; und erneut nicht dort, wo sie hingehört: In die Politik.  Marcus Schwarze hat auch dies richtig beschrieben: Wir stehen hier erst am Anfang.

Das erkennt auch Nico Lumma, der ja bekannt dafür ist, dass er der SPD, wenn auch zuweilen widersprüchlich, gemeinsam mit Lobo die digitale Stange halten möchte. Allein, auch die kommen grade wie alle anderen deutschen Parteien überhaupt nicht aus dem Quark, um diesem Thema in irgendeiner Form gerecht zu werden.

Eine kluge Betrachtung zur Lage liefert erneut Don Dahlmann mit dem wichtigen Hinweis auf die Zeitläufte. Was der Buchdruck erlebt hat, mögen wir  heute in extrem komprimierter Form auch mit dem Internet erleben. Und dennoch sind Jahre im Verhältnis zur verfügbaren Zeit nicht viel. Nichtsdestotrotz hofft Dahlmann auf die Wahrung der Bürger- und Zivilrechte, sieht darin auch eine Forderung an die Europäische Union.

Wesentlich deutlicher und präziser ist die Stellungnahme von Thomas Stadler, der nach meiner Meinung einen der besten Beiträge dazu geschrieben hat. Es gehe nicht darum, ob das Internet kaputt sei, sondern ob die Demokratie beschädigt ist.

Es geht in Wirklichkeit also um rechtsstaatliche Defizite und die lassen sich weder mit einem neuen Internetoptimismus noch mit digitaler Selbstverteidigung (Verschlüsselung) überwinden, was nicht bedeutet, dass beides nicht sinnvoll und notwendig ist. Es ist eine Herkulesaufgabe aller Demokraten – nicht nur der Netzgemeinde – auf mehr Transparenz hinzuarbeiten und das System Geheimdienste zurückzudrängen und insgesamt in Frage zu stellen. Das ist die Aufgabe, die vor uns steht und sie wird essentiell für den Fortbestand unserer demokratischen Gesellschaften sein. Und es ist dies nolens volens die Aufgabe der Zivilgesellschaft, weil zumindest vorerst von der Politik keine Unterstützung zu erwarten ist.

Und genau das ist einer der Punkte, der zwar in einigen der vorgenannten Beiträge am Rande erwähnt wird, zumeist jedoch außer Acht gelassen bleibt. Christian Jakubetz polemisiert auf Cicero dazu ein wenig, erkennt zwar richtig die nicht entschiedene Haltung vieler Akteure, vermag dabei aber auch nicht auf den wirklichen Punkt zu kommen. „Stellt euch auf die Hinterfüße“ kommt darin etwas schwachbrüstig vor.

Erstaunlicherweise hat eine ganze andere Replik mich erreicht, wenn auch mit einem zunächst etwas verstörenden Text, der dennoch genau das trifft, was ich denke: Der größte Feind ist derzeit die Gleichgültigkeit. Thomas Schwarz will das gar nicht als Replik auf den einstmals voranschreitenden Interneterklärer Lobo verstanden wissen, sondern auf alles. Und trifft dennoch – verzeih‘ mir das Wortspiel – ins Schwarze.  Das schreibt jemand, der selbst um sein Leben kämpft, der aufgrund dessen Sinnfragen stellt. Die richtigen.

Wer hat uns nur die Eier, das Rückgrat, das Herz und das Hirn lobotomisiert? Und wer hat es nicht gemerkt?

Die nicht vorhandene Sichtbarkeit des Internets mag dazu beitragen, die allgemeine gesellschaftliche Entwicklung wohl noch mehr: So lange niemand körperlich bedroht wird, haben sich die meisten mit dem Zustand arrangiert. Wir haben einen ausgeprägten Wohlstand erreicht, wir sind, von Ausnahmen abgesehen, satt und zufrieden. Natürlich gibt es überall Schwierigkeiten, Bürokratie, Ungerechtigkeit, Gewalt und Missgunst, weil wir Menschen sind. Und dennoch leben wir in einem „goldenen“ Zeitalter. Das Hemd ist mir näher als der Rock. Wer einigermaßen in dieses System hinein passt, schlupft dadurch. Das bisschen Überwachung…, ach, geh‘!

Ich denke, dass es eine ordentliche Beharrlichkeit mindestens einiger weniger Streiter geben muss, genau diese Gleichgültigkeit zu überwinden, die Gefahren weiterhin zu mahnen, die Menschen zu aktivieren, ihnen beizubringen, ihre Bürgerrechte wahrzunehmen. Friedemann Karig hat dazu die ersten richtigen Fragen gestellt, die ich nur unterstützen kann. Es braucht andere und bessere Narrative. Der technische Fortschritt hat eine Geschwindigkeit aufgenommen, der die Strukturen der Gesellschaft längst nicht mehr nachkommen können. Nunmehr gilt es Instrumente zu schaffen, die vor allem eins garantieren: Dass niemand in der Lage ist, das technische System missbräuchlich zu verwenden. Wer, wenn nicht wir Deutschen, sollten wissen, worum es dabei geht. Insofern sehe ich Deutschland in einer besonders wichtigen Verantwortung.

Obgleich ich die Selbstverwirklichung eines jeden einzelnen gern unterstützen möchte, sehe ich dennoch auch den Wert des Gemeinwohls als einen, den wir wesentlich stärker in den Vordergrund rücken müssen. Eigentlich muss klar sein, dass wir nur miteinander können. Das Internet ist ein Ort für das Miteinander. Dann müssen wir uns also auch ordentlich darum kümmern.

cdv!

update:

Martin Lindner auf Carta:

„Wir brauchen überhaupt erst mal einen positiv besetzten Begriff von “das Netz” im deutschsprachigen Diskurs, der eben nicht von unserer Nischenbewohner-Perspektive ausgeht.“

„Eigentlich brauchen wir ein neues 1968 aus dem Geist des Netzes, und vor ein paar Jahren fühlte sich das wirklich ein bisschen so an, aber derzeit ist die Luft raus. Diese Desillusion spüre ich schon auch, aber das ist ja nur eine kleine Atempause des Weltgeistes.“

“Wir brauchen viel mehr Empirie und Selbstversuche, viel weniger pauschale Weltrettungs- und Weltuntergangshypothesen.”

Insgesamt sehr lesenswert.

Michael Seemann

„Das Internet ist eine so effektive Vernetzungsmaschine, dass man sich nicht immer aussuchen kann, mit wem sie einen vernetzt. Zum Beispiel mit der NSA. Und die Kränkungen, von der Du sprichst, wird anhalten, solange das nicht begriffen wird.“

You Might Also Like

  • Ist das Internet kaputt? | Schmalenstroer.net 17. Januar 2014 at 17:50

    […] dass das Internet kaputt sei. Eine Zusammenfassung der bisherigen Debatte um seinen Artikel gibt es hier, aber auch ich muss natürlich meinen Senf dazugeben. Meines Erachtens nach ist es die falsche […]