Der durchaus sehenswerte Film „Die Bürgermeisterin“ im ZDF hat ein wenig ermutigendes Ende. Nach dem Aufbegehren der rechtsorientierten Kommunalpolitikerinnen gegen ein zu errichtendes Flüchtlingsheim gibt sie am Ende auf, und das Amt ab. Bis dahin wird sie bedroht, geschmäht, der Mob in den Social Media-Kanälen hetzt gegen sie und ihre Familie. Es ist zermürbend. Der nachfolgende Film über die Lage und die Bedrohung von Bürgermeisterinnen in Deutschland ist journalistisches Handwerk. Okay, aber auch nicht mehr. Die Situation der Kommunalpolitik?
Das Bild auf die Kommunalpolitik im Film „Die Bürgermeisterin“ ist leider verheerend. Gezeigt wird eine engagierte und den Bürgerinnen zugewandte Frau, die letztlich schon in den Mühlen der Bürokratie scheitert. Der Landrat entscheidet über den Kopf der Kommune hinaus. „Da kann man nichts machen.“ Der Film macht keinen Mut, in die Kommunalpolitik einzusteigen.
Was spricht denn dagegen, in die Kommunalpolitik einzusteigen? Das habe ich auf Twitter gefragt, und eine große Menge Resonanz erfahren.
Ich habe es versucht. Die „Logik“ des Systems „Partei Politik“, in der es nicht darum geht, das richtige zu tun, sondern darum, möglichst viele Wählerstimmen zu bekommen, hat mich angewidert. https://t.co/VN4bpikLir
— Nicolas Korte (@NicolasKorte) October 26, 2022
Zeit. Keine Energie zur Auseinandersetzung mit Klüngel. Keine Energie für alte, weiße Männer, die mich „Mädchen“ oder „Schätzchen“ nennen.
— Vanessa Giese (@dieliebenessy) October 26, 2022
Kommunalpolitik ist vorallem reine Kumpelei und unheimlich viel Kampf gegen unprofessionelle Windmühlen, scheint mir.
— Chris_’TopGun ist Liebe‘ 🇩🇪🇩🇰🎗️ (@ChristophHorst3) October 26, 2022
Eigentlich nur Zeit und die Frage, mit welcher Partei ich sie verschwenden sollte. Vom Ergebnis her ist es aber oft genauso effektiv (und weniger nervenaufreibend), sich einen netten Kegelclub zu suchen.
— Johannes Mirus ✨🕊 (@Johannes) October 26, 2022
Das ist nur ein kleiner Teil der Antworten. Zwischendurch: Es gab auch einige positive Reaktionen von Menschen, die sich in der Kommunalpolitik engagieren. Viele enttäuschender ist das Bild der Kommunalpolitik jener Menschen, die sich genau dafür nicht engagieren wollen.
Zum vollständigen Hintergrund noch angemerkt. Ich begleite Kommunalpolitik seit nunmehr fast 40 Jahren. Zuerst als Lokaljournalist in vielen Zeitungen über einen Zeitraum von etwa 15 Jahren. Dann selbst als damals noch parteiloses Mitglied im Gemeinderat in einer kleinen niedersächsischen Gemeinde. Seit einigen Jahren bin ich Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Zuerst in Schwerte, meiner Geburtsstadt, nun in Iserlohn. Seit einiger Zeit arbeite ich in der Kreistagsfraktion der Grünen im Märkischen Kreis an einigen Themen mit. Seit wenigen Tagen bin ich Sachkundiger Bürger der Kreistagsfraktion im Ausschuss Digitalisierung und E-Governance.
Ich will versuchen, einige Gründe für das geringe Engagement aus meiner eigenen Erfahrung und Wahrnehmung zu benennen. Ob sie stimmen oder nicht, überlasse ich euch, den Leserinnen. Please, discuss!
1. Bildung
Obgleich ich zu meiner Zeit als Lokalredakteur sehr, sehr viele Ausschusssitzungen, Ratssitzungen, Kreistagssitzungen und Sitzungen politischer Organisationen besucht habe, habe ich bis heute keine einzige (!) Sitzung erlebt, an der Schülerinnen teilnahmen. Selbst in den Jahren, in denen mein Sohn zur Schule ging, ist dies nie vorgekommen. Wann immer ich mit jungen Menschen über das Thema Politik gesprochen habe: Auch sie waren nie in einer Sitzung in ihrer Heimatstadt.
Keine Kommunalpolitik im Unterricht
Der Bereich Kommunalpolitik findet im Unterricht nicht statt. Was junge Menschen lediglich erfahren, ist etwa der Ärger der Eltern über viele jene oder diese Entscheidung, die die Familie betrifft. Es gibt weiterhin keine Berührungspunkte. Dort, wo Demokratie greifbar beginnt, nämlich vor der eigenen Haustür, wird die Chance von den Schulen nicht wahrgenommen.
Dies deckt sich mit meinen persönlichen Erfahrungen, die ich mit Menschen in der Nachbarschaft oder unter meinen lokalen Freunden mache. Es gibt kaum jemand, der weiß, welche lokale Institution zuständig ist. Die meisten wissen nicht einmal, welche politischen Ebenen es gibt: Kommune, Landkreis, Bezirksregierung (nicht politisch gewählt), Landesregierung, Bundesregierung, Europäischer Rat.
2. Bürgermeisterinnen, Rat und Verwaltung
Auch diese Institutionen tragen in den meisten Fällen nicht dazu bei, sich für die eigene Kommune zu engagieren. Bürgermeisterinnen sind schon in den mittelgroßen Städten nicht mehr nahbar, reden nur auf Veranstaltungen, dann aber mit vielen Floskeln. Und die mag niemand mehr hören.
Der Stadt- und Gemeinderat ist sich nach meiner Erfahrung nach in den allermeisten Fällen seiner Souveränität nicht annähernd bewusst. Als entscheidendes Organ hat niemand Interesse, Menschen für Kommunalpolitik zu begeistern. Schon hier finden Grabenkämpfe zwischen den Parteien statt, zudem der seltsame Tanz mit der Verwaltung zwischen Anbiederung und Korrektiv. Oft genug beginnt eine Polarisierung schon hier. Preisfrage: Welcher Stadt- oder Gemeinderat lädt die Schülerinnen und Schüler ein?
3. Die Parteien
Sie sind es oft selbst, die einen Zugang schwer machen. Ein kleiner Test: Sucht mal die Webseiten der lokalen Parteien, und sucht dort nach einem Ansprechpartner. Wenn ihr sie oder ihn findet, schreibt eine E-Mail. Eigene Erfahrung: Sie wird weder gelesen, noch beantwortet. Steigerung: Versucht mal, mit lokalen Abgeordneten auf Social Media Accounts mit ihnen zu diskutieren. Eigene Erfahrung: Sie werden nicht antworten.
Die Parteien, und dazu zählen leider die Grünen auch in vielen Fällen, sind gar nicht darauf eingestellt, wenn sich Menschen für eine Mitarbeit interessieren. Niemand nimmt sie an die Hand, um Fragen zu stellen, zu erklären, Abläufe zu skizzieren, Planungen vorzustellen. Planungen? Oh je, ein Fremdwort. Gearbeitet wird in vielen Fällen und das nur leidlich, per E-Mail, mehr noch Face-to-face in eigenen Sitzungen mit Tagesordnung. Effizienz und Effektivität sind zwei weitere Fremdwörter.
Dabei wäre genau hier ein strukturiertes Programm sehr geeignet, Menschen an die Kommunalpolitik heran zu führen. Es kostet lediglich Zeit.
Fazit:
Wenn wir nicht nur der größer werdenden Wahlmüdigkeit entgegen wirken wollen, zudem mehr Begeisterung für das Engagement in der Kommunalpolitik erreichen wollen, dann müssen wir mehr und Besseres tun. Für mich heißt das in erster Linie, besser zu arbeiten.
Wir brauchen mehr Transparenz in der Kommunalpolitik. Dazu sind neben der Verwaltung auch die Parteien gefordert. Wer als lokale Partei lediglich die in amtlicher Sprache formulierten Anträge in den Newsletter (!) wirft, braucht sich nicht wundern, wenn das niemand liest. Sprache ist wichtig. Erklären in verständlicher Sprache ist noch wichtiger. Die parteieigenen Sitzungen sollten immer öffentlich stattfinden. Kommunalpolitik ist kein Geheimnis. Und man muss auch keins daraus machen.
Kommunikation in alle Richtungen
Wir brauchen Kommunikation in alle Richtungen, auf allen Plattformen. Ja, es kostet viel Zeit, aber es ist unabdingbar, die eigenen Beweggründe für Entscheidungen auf möglichst allen relevanten Plattformen deutlich zu machen, sie dort auch zu begleiten, zu moderieren und sachkundig zu kommentieren. Der Artikel in der Heimatzeitung ist zudem nahezu überflüssig. Das Durchschnittsalter der Abonnentinnen von Tageszeitungen ist mittlerweile den 70 Jahren sehr nahe. Und dass die sich nicht mehr engagieren, das ist voll okay. Wenn sie es doch wollen, ist es „Yeah!“
Wir brauchen Menschen, die sich die Zeit nehmen, besonders jungen Menschen die Abläufe der Kommunalpolitik zu erklären. Möglichst sachlich, wertneutral, ermutigend.
Wir müssen in den Parteien besser arbeiten. Organisiert, strukturiert, diszipliniert, effektiv und effizient. Wer gut vorbereitet ist, kann besser diskutieren und gemeinsam lösungsorientiert Entscheidungen treffen. Es gilt immer: Die beste Lösung zu finden. Wenn eine andere Partei sie hat: Okay, dann ist das so. Das muss man einfach anerkennen. Auf lokaler Ebene, und besonders da, kann das sehr oft gelingen.
Wir sollten nahbar sein. Ansprechbar sein. Gesprächswillig sein. Diskussionsfreudig sein, in einem gegenseitig wertschätzenden Sinn. Wir sollten deutlich machen, dass es Spaß machen kann, füreinander da zu sein. Das ist Gemeinschaft. Und das ist eine Kommune.
cdv!
Zu Jugendlichen in der Lokalpolitik hab ich mal was geschrieben – also mitten drin in einem evtl. etwas zynischen Artikel – aber leider ein öfter erlebtes Verhalten der Poltik gegenüber Jugendlichen: https://hmbl.blog/jawlnet/1-7-2016-christian-wie-funktioniert-eigentlich-politik/
Ich habe hier im Ort zweimal versucht, eine Jugendgruppe aufzubauen – aus der zweiten Gruppe sind ein paar Leute in die Fraktion rüber gewechselt, als sie älter wurden.