Oha, schon 28 Jahre alt, das Blog. Und, nachgeschaut bei Wikipedia, steht dort schon wieder und noch immer der unsägliche Begriff, der die Internet- und Kulturtechnik kaputt gemacht hat: Tagebuch. Können wir das bitte aufräumen und dort streichen? Weil es dem Netz nicht gut tut. Seit geraumer Zeit mein Vorschlag: Nenn‘ es nicht „Blog“. Ganz frisch meldet sich auch Sabine Haas zu Wort: Sie sind kaum noch auffindbar.
Pures Empfinden und natürlich an keiner einzigen belastbaren Stelle mit Fakten belegbar: Der Begriff „Blog“ ist in den letzten Jahren erfolgreich diskreditiert worden, stigmatisiert zugleich. Es sind „nur“ Blogger. Und das hält sich leider sehr, sehr gut. Noch immer. Wer das geschafft hat? Na, die Journalisten- und Medien-Kollegen, die seit dem Start der ersten Blogs argwöhnisch und oft genug voller Häme die Konkurrenz im Internet niedergeschrieben haben. Wer „Tagebuch“ schreibt, kann einfach nicht ernsthaft sein. Viele Jahre hat es gedauert, bis etwa auch Institutionen oder Marken erkannt haben, dass es sich in vielen Fällen um sehr fakten- und meinungsfreudige Experten handelt, die sich auf ihren Websites zu vielen verschiedenen Themen äußern.
Und obgleich ich einige „Tagebuchbloggerinnen“, an erster Stelle natürlich meine allerliebste Podcast-Kollegin Vanessa Giese und die seit vielen, vielen Jahren bloggende Anke Gröner, überaus schätze, bleibe ich dabei; etwa, wenn es um Projekte geht: Don’t call it a blog. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute in der Lage sind, Inhalte ins Netz zu stellen, kann durchaus Magazin oder einfach nur Webseite heißen. Auch dieser Text findet auf einer Webseite statt; es ist für mich einfach kein Blog.
Denn seit den Tagen der Ur-Blogger wie die schon benannte Anke Gröner, wie Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach, wie Sven Dietrich und der allerliebste Johnny Haeusler, die in einigen Fällen noch immer regelmäßig ins Netz hinein schreiben, hat sich technisch viel getan. Was früher etwas mehr Frickel-Aufwand brauchte, geht heute in wenigen Minuten. Wer möchte, kann senden, zu jedwedem Thema. Gleichsam sind heute viele Webseiten und sogar Shops mit WordPress aufgebaut, einer „Blogger“-Software, die mittlerweile technisch so viel bietet, dass sie nahezu jede beliebige Internet-Präsenz ermöglicht.
Eine der besten Institutionen für unsere Web-Sicherheit und die Politik für das Netz, nämlich netzpolitik.org, ist ein Blog, also eine Internetseite. Auch Kroker’s Look des Wiwo-Kollegen Michael Kroker, eine Internetseite. Basic Thinking als Saurier der Szene, viel mehr heute ein Magazin; mobile geeks: für mich eindeutig ein Magazin. Bisher seit vielen Jahren führend: Das Daimler-Blog, für mich eher ein Mitarbeiter-Magazin; das beste, ever. Das Krones-Blog soll ein Tagebuch sein? Never. Gleichsam die Blogger-Seiten der Datev; alles andere als Tagebücher.
Neben den unzähligen Fashion-Blogs, die als solche schon lange nicht mehr erkannt werden können, sind es ebenso die Familiy-Blogs, die über Jahre etwas Furore gemacht haben. Und sich längst als Internet-Seiten etabliert haben. Alles andere als Tagebücher. Insbesondere Nischen sind es, die das Publizieren mit einer Content-Management-Software heute selbstverständlich und durchaus erfolgreich betreiben. Blog hin, Blog her. Beispiel: Lia. „Goethe zitierendes Fickstück“, wie sie sich selber auf Twitter beschreibt. Ihr Account dort feiert seit Wochen fröhliche Urständ, die Zahl der Follower wächst rasant. Kein Wunder, bei dem Thema BDSM, dass sie auf ihrer Seite klug und differenziert beschreibt. Und was, bitte, ist dort Blog, was ist Seite? Egal! Es ist gut. Aufgebaut seit etwa einem Jahr, wie sie mir verraten hat.
Das Publizieren heute ist dennoch viel, viel aufwändiger geworden in den letzten Jahren. Während man sich früher fröhlich untereinander vernetzte, ist heute anstrengendes „Abholen“ auf Plattformen wie Facebook und Twitter notwendiger denn je. Sabine Haas hat in ihrem aktuellen Beitrag etwa richtig erkannt, dass etwa Google leider dazu beigetragen hat, weil es Blog-Seiten nicht mehr als eigene Kategorie-Seiten in den Suchergebnissen ausweist. Die Diskussionen zu den Beiträgen finden dort statt, kaum noch unter den Beiträgen selbst; auch wenn das ganz einfach ist.
Was nun tun? Den Begriff „Blog“ vergessen, ihn einfach in die Internet-Geschichtsbücher schreiben. Künftig sind es Web-Seiten, die häufig aktualisiert werden. Es sind Präsenzen, Magazine, die auch von anderen Medien-Kollegen ernst genommen werden, aber bitte künftig nicht mehr Blogs genannt werden sollen. Wir brauchen in dieser Kulturtechnik noch immer mehr Akzeptanz, weil es tatsächlich häufig wahre Schätze sind. Oder wir nennen sie einfach „Schatz“…
cdv!
„Schatz“ als Alternative zu „Blog“ hat wirklich Charme, denn die meisten Blogs sind tatsächlich wahre Schätze. Sie zu finden, habe ich mir vor 4 Jahren zur Aufgabe gemacht. Und mit http://www.trusted-blogs.com habe ich eine Suchmaschine gebaut, mit der nun auch ohne Google solche Schätze gehoben werden können. :-)