Allgemein Begegnungen

Twitter: Noch immer eine Liebeserklärung

27. Februar 2019

Auch, wenn es nervt: Opa erzählt von früheren Zeiten. Wir twitterten lustig um uns her, und lernten uns kennen. Als Folger und Folglinge. Diskutierten, quatschten den Tag über, Twitter als Büroflur, veranstalteten #Montagsrunde über die ersten Streaming-Dienste, lasen uns gegenseitig auf Veranstaltungen Tweets vor, giggelten, tranken ab und an ein kleines Bier zusammen, und lernten uns kennen. What? Ja, klar. Wir lernten uns kennen. Einige Weggenossen von damals sind heute beste Freunde, andere begleitet man einfach wohlwollend seit nunmehr fast mehr als zehn Jahren, einige Wege trennten sich; auch das ist menschlich, man lernte sich kennen, es passte nicht. Für alle anderen: Irgendwann war klar, dass man sich sah. Entweder auf den Barcamps, spätestens auf der re:publica. Das ist heute noch so.

Was kaum noch funktioniert: Sich unbefangen zu treffen. Gleichwohl auch mit einer neuen und anderen Twitter-Generation. Noch immer stoßen Menschen auf diese Plattform, die mittlerweile sogar obskuren Ruf genießt, weil der amerikanische Präsident sie nutzt. Aber, hey, das machen viele Millionen andere Menschen auch. Menschen aller Altersschichten hopsen hinein, nutzen, lieben oder hassen es. Immer noch gut so.

Und während die alten Granden noch immer vor sich hin tweeten, die gewohnten Scharmützel ausfechten, der Barcamps und sogar der re:publica zuweilen etwas müde sind, toben sich die „Neuen“ aus. Entdecken die Freiheiten, die Möglichkeiten, den besonderen Spirit dieser Plattform, von der man niemals sagen darf, dass sie ein „Kurznachrichtendienst“ sei. Pfui. Seitdem sich Politiker, Medienmenschen, Strategen und auftragslose Freelancer sowie SchnellreichwerdenErmöglicher dort tummeln,  greift leider auch die Dummheit um sich. Politische Gegenstrategen und Wenigmerker und Agitatoren und Verlorene und Geistesgestörte finden sich schnell. Sie sind häufig tatsächlich verlorene Seelen.

Der Sex auf Twitter

Und Sex geht auch. Hier feiern sie in einigen Fällen in bemerkenswert kurzer Zeit noch fröhliche Urständ. Mehrere tausend Follower in wenigen Monaten schaffen aber hier auch nur die besseren und zumeist sehr klugen Frauen. Die Männer spannen nur, und einige Dummies schicken blöderweise den guten Frauen Gemächtfotos. Was die wiederum nicht so gut finden. Aus Gründen.

Was nicht mehr funktioniert: Die Unbefangenheit. Die Offenheit. Das zwanglose und nicht mit blöden Absichten beabsichtigte Treffen. Auf einen Kaffee? Damals (in früheren Zeiten): Gang und Gäbe. Stundenlange Anreisen zum nächsten Barcamp? Regelmäßig. Wochenlange Vorfreude vor der re:publica? Normaler Zustand. Inclusive der heftigen Blues-Zustände nach den Veranstaltungen. Gibt es heute auch noch. Wird jedoch spürbar weniger. Ok, während die Zahl der  Barcamp-Besucher beharrlich stagniert, sind die Zahlen der re:publica explodiert über die Jahre. Von einst 300 in den ersten Tagen bis heute nahezu 10.000 Besucherinnen an den drei Tagen.

Ist Twitter denn heute schon Mainstream, oder sind die schlechten Erfahren anderer Plattformen und vielleicht einfach auch nur die des alltäglichen Lebens so schlecht, dass die Twitter-Manieren von einst gar nicht mehr gelten? Keine Ahnung. Einfach mal treffen? Ohne hintergründige Absichten? Ohne sexualisierte Absichten? Scheint kaum noch möglich. Mag auch mein ganz eigener Eindruck sein.

Dabei ist meine eigene Twitter-Nutzung seit vielen Jahren, wenn auch ab und zu mit Müdigkeiten, nahezu gleich geblieben. Ich folge einer überschaubaren Schar, die über die nunmehr mehr als elf Jahre immer leicht gewachsen ist. Ich folge Menschen, die entweder interessant sind, kluge Meinungen vertreten, originell sind, nahezu immer authentisch, manchen auch einfach aus den sich wechselnden beruflichen Interessen. Ich mache was mit Medien und Kommunikation. Selten stoße ich in abstruse Twitter-Welten; keinen Bock drauf. Und wenn ich denke, dass es doch nicht passt: Unfollow. So schnell. So schmerzlos. So frei.

Twitter: Tränen, Trauer, Freude, #Nonmention

Ich diskutiere ab und an gern mit, grätsche schon mal rein, retweete sehr viel, was ich gut oder lesenswert finde; Hauptsache Mehrwert. Was ich schon lange nicht mehr schreibe: Meine täglichen Befindlichkeiten. Dafür bin ich mittlerweile zu alt, dafür ist es nicht die richtige Plattform. Oh ja, früher schossen zuweilen die Emotionen durch; Tränen, Trauer, Freude, #Nonmention. Gibt es alles schon lange nicht mehr. Gelernt. Ich traue mich auch gern, schnell mal eine Direct Message zu schreiben, um meistens zu fragen (alte und immer noch junge Journalisten-Neugier), das Gespräch im geschützten Raum zu vertiefen. Und ein Übersensibelchen bin ich auch: Es schmerzt, wenn jemand die Direct Messages löscht. Weil ich ein Nachleser und Erinnerer bin. Ich folge gern Menschen über einen längeren Zeitraum, weil es eine der angenehmsten Methoden ist, jemanden kennen zu lernen. Bis ich irgendwann ungeniert frage, ob man sich nicht mal treffen möchte.

Das hat über viele Jahre gut funktioniert; und funktioniert heute mit insbesondere den neuen Twitter-Generationen immer weniger. Ab und zu mag es auch an der Alterskluft liegen. Während ich mit Begeisterung jeden Menschen unabhängig seines Alters schätze, mögen es vielleicht die jüngeren Generationen gar nicht so sehr, von einem Twitter-Opa angesprochen zu werden.

Vielfach sehe ich in den Tweets natürlich auch die persönlichen Hintergründe, kann aufgrund meiner besonderen Fähigkeiten auch tiefer hinter die Kulissen gucken, lese anders als Viele besser zwischen den wenigen Zeichen, bilde mir über einen längeren Zeitraum eine Meinung. Dafür liebe ich Twitter noch immer.

Was die Neulinge häufig nicht sofort erkennen, sind die Feinheiten. Die Bedeutung eines Likes, die Bedeutung eines Retweets, der Reply, die Wichtigkeit der Hashtags (sie nutzen sie kaum…), die Zeiten, der Zeitläufte, der kurzen Aufmerksamkeitsspanne, der Twitter-Gesetzmäßigkeiten, die schon seit langer Zeit gelten. Interessant: Sie fragen auch nicht danach. Und nehmen wohlwollende Erklärungen auch selten an. Sie machen einfach ihr eigenes Twitter-Ding. Mal mehr, mal häufiger mit mehr oder weniger Erfolg.  Und ihre Ziele? Oft seltsam. Erstaunlich zu beobachten. Bis man sich zuweilen fragt: Was machen die hier? Dann und wann: Durchaus witzig. Hm.

Der Wunsch nach offenen Menschen

Ich möchte diese Zeilen nicht als Jammerei und  „Früherwarallesbesser“ bewertet wissen, sondern einfach nur als eine Zustandsbeschreibung. Dass sich das Internet in den letzten Jahren verändert hat, kann ich aufgrund meiner sehr unterschiedlichen Erfahrungen besonders gut nachempfinden und bestätigen. Jep. Nicht alles zum Besseren. Dennoch wünsche ich mir sehr gern weitere offene und gesprächsbereite Menschen, mit denen sich ein Austausch – zu welchem Thema auch immer – für alle Seiten lohnt.

Für mehr Unbefangenheit, für mehr Verständnis, für mehr Miteinanderreden. Boah, wie pathetisch.

cdv!

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